Wie oft habe ich den Satz aus der Überschrift wohl in den knapp über 60 Stunden Spielzeit in Kingdom Come: Deliverance gehört? Reichen 1000 mal? Ich weiß es nicht. Klar ist jedoch: leider krankt auch KC:D an der üblichen Clunkyness, Glitchanfälligkeit und Verbugtheit [das klingt alles auf Deutsch so schlimm…] von Spielen, die vieles oder genau genommen alles wollen. Ist das ganze dennoch ein Erlebnis? Ja!
Am 23. Januar 2014 ging die Kickstarterkampagne des Spiels an den Start, da kein großer Publisher oder Entwickler sich der großen Ziele des heute umstrittenen Vaters des Spiels, Daniel Vávra, annehmen wollte. Die Spielerschaft war da offenbar freigiebiger (was sie bei großen Ideen ja durchaus gerne ist, siehe Star Citizen), und so war nach 36 Stunden bereits das Goal erreicht. Nur etwas mehr als vier Jahre später, am 13. Februar 2018, wurde KC:D offiziell herausgebracht.
Kurz zum Setting: das Rollenspiel spielt im Jahre 1403 in Böhmen (heute Tschechien) und wartet im Gegensatz zu vielen anderen Rollenspielen im Mittelalter-Setting nicht mit Drachen oder Magie auf, sondern versteht sich selbst eher als “Mittelalter-Simulation”. Dennoch wurde in Interviews auch immer wieder darauf hingewiesen, dass für die Spielbarkeit hier und da natürlich ein Auge zugedrückt werden muss. Selbstredend konnte sich ein Ritter damals nicht nach einem Kampf mit einem Ringelblumen-Aufguss im Schnellverfahren heilen, schon gar keine härteren Blessuren oder Knochenbrüche. Aber jedes mal im Spiel Wochen oder Monate warten wäre halt auch etwas am Ziel vorbeigeschossen. Und als Simulations-Freund kenne ich den Leitspruch der Simulanten-Szene, “as real as it gets” [also so real wie es eben möglich ist], nur zu gut – und genau den sollte man bei diesem Spiel eben auch anlegen.


Wir starten zu Beginn mit Heinrich als ganz normalem Sohn eines Schmiedes und den womöglich alltäglichen Dingen im Mittelalter. Besorgungen für den Vater, aber kein Geld. Also müssen wir erst mal versuchen Schulden einzutreiben. Was sich als gar nicht mal so einfach herausstellt. Der Schuldner unseres alten Herrn ist ziemlich stur und ich hatte ihn flugs so erzürnt, dass er eine Prügelei begann. Völlig überfordert durch das Kampfsystem und zudem auf niedrigster Kraftstufe, hatte ich natürlich keine Chance. Also zurück zu Mutti und verarzten lassen. Nun ergibt sich schon der erste Blick auf die etlichen Möglichkeiten ein Ziel zu erreichen. Die Werkzeuge beim Schuldner unbemerkt “zurückpfänden”? Oder erst mal die Kumpels vor der Kneipe aufsuchen, mit diesen das Haus eines unbeliebten Dorf-Neulings mit Mist bewerfen und dann mit ihnen als “verstärkende Argumente” nochmal zum Schuldner? Oder doch nochmal den Zweikampf suchen? Das Ziel ist das Ziel und der Weg fühlt sich oft bedeutend freier an als in vergleichbaren Rollenspielen. Wenn in anderen Spielen beispielsweise eine Tür so lange verschlossen ist, bis ich den vom Spiel vorgesehenen NPC anspreche, so ist das bei KC:D sehr vermutlich nicht der Fall. Wenn ich einen Punkt einer Quest überspringe, wissentlich oder versehentlich, ist das Ziel dennoch erreicht.
Selbstredend ergeben sich aus dieser großen Freiheit auch große Probleme. Denn problematisch wird es eben dann, wenn das Spiel nicht mehr versteht, was gerade vor sich geht. Oder man sich selbst ungeahnt und versehentlich Probleme schafft. Eine kleine Anekdote dazu: Hin und wieder gibt es zufällige Diebe. Diese kann man ignorieren oder eben verfolgen und stellen. Jedenfalls habe ich wohl bei solch einer Aktion im Städtchen Sasau nicht den Dieb, sondern den bestohlenen NPC, der eben auch rannte, geschlagen. Zumindest vermute ich das. Denn etliche Stunden später sollte ich einen NPC im Rahmen einer Quest ansprechen – aber er lief mehrmals schlicht vor mir davon. Erst vermutete ich einen Bug, dann konstruierte ich mir aber die eben genannte Möglichkeit. Eine Problemlösung fand ich jedenfalls, in dem ich ihn nochmals öffentlich schlug und mich von einer Wache in den Kerker sperren lies. Denn das Spiel sagte mir in einer Einblendung, dass mich dies bei dem NPC wieder besser gelitten macht. Und so war es dann auch. Knappe 24 Stunden später aus dem kalten, dunklen Knast entlassen, konnte ich den NPC problemlos ansprechen. Dies zeigt das durchaus funktionierende Ruf-Prinzip im Spiel ganz gut auf. Problematisch wird es eben nur, wenn, wie hier, eine Quest mit Pflichtcharakter davon negativ betroffen ist. Den Support hatte ich im übrigen auch angeschrieben, bis heute aber keine Antwort erhalten. Hätte ich also nicht selbst so um die Ecke gedacht, wäre das Spiel an dieser Stelle für mich gestorben gewesen. Nicht sehr toll, leider.
Ansonsten, ich möchte die Geschichte hier nicht sonderlich spoilern, erleben wir mit Heinrich, der ein Mitglied der persönlichen Leibgarde eines gewissen Herrn Radzig von Kobyla wird, in den etlichen Stunden interessante, abwechslungsreiche und spannende Quests und Nebenquests mit vielen Charakteren, auf welche die gleichen Adjektive anwendbar sind. Auch Aktivitäten und Aufgaben am Rand gibt es einige. Und – für mich einer der größten Punkte – die Landschaft und Atmosphäre sind hinreißend! Der Wald ist mit weitem Abstand der waldigste, den ich in Spielen bisher gesehen habe. Als ein im Grünen aufgewachsenes Dorfkind, dass noch zahlreiche Stunden seiner Kindheit in Wald und Wiese sowie am Bach verbracht hat, fühlte ich mich beim Durchstreifen der Wälder auch genau dorthin zurückversetzt. Die Atmosphäre und Immersion findet aber immer dort einen kräftigen Dämpfer, wenn die NPCs einen völlig unpassend und viel zu oft mit “Hey! Heinrich kommt uns besuchen!” oder “Hey! Heinrich ist wieder da!” oder “Hey! Heinrich! Wie geht es dir?” begrüßen. Liebe Entwickler, lasst NPCs doch lieber weniger reden, denn dieses ständige wiederholende wirkt nicht gerade positiv auf die Echtheit.
Neben viel gemächlichem, keineswegs aber langweiligem, Questen im Sinne von “Rede mit XY”, “erfahre mehr über XY” oder “suche/bringe XY”, kommt auch die Action nicht zu kurz. Meist sind wir dabei auf uns allein gestellt, etwa beim Ausheben von kleinen Feindeslagern oder zufälligen Begegnungen mit Wegelagerern. Aber auch größere Schlachten kommen im Mittelalter-RPG selbstverständlich vor. Ich vergleiche diese einfach mal mit den mir bekannten Schlachten “Kaiserliche vs. Sturmmäntel” aus Skyrim. Und da fühlen sich die Schlachten in KC:D deutlich realer an. Man hat das Gefühl, die NPCs kämpfen wirklich einigermaßen sinnvoll gegeneinander und man kämpft auf Augenhöhe mit – und eben nicht als mega krasser Überheld. Was im übrigen besonders für den Anfang des Spiels gilt, da sind die Kämpfe dank der 5-Zonen-Kampfmechanik (nimm das, For Honor!) verdammt fordernd. Im späteren Spielverlauf bessert sich das; einerseits, da man natürlich auflevelt – andererseits, da man das Kampfsystem irgendwann in sich aufnimmt und versteht.
Wenn man gerne liest und sich vielleicht zusätzlich noch für Geschichte interessiert, bietet der Kodex etliche Zusatzinformationen in Textform. Gerade in den ersten Spielstunden habe ich diese noch ausführlich gelesen, später wurde mein Interesse daran allerdings deutlich geringer. Alles in allem macht das Spiel einige Dinge deutlich anders und vielfach auch bodenständiger als andere Rollenspiele. Besonders will ich hier noch die Alchemie hervorheben. Oft genutzt habe ich sie zwar nicht, aber die paar Male hat es doch Spaß gemacht. Man braut die Tränke praktisch selbst nach Anleitung. Wir nehmen also am Alchemietisch Platz, bereiten die Zutaten vor, zerkleinern diese gegebenenfalls, kochen dies dann – abgemessen mit einer Sanduhr – und füllen den Trank dann ab. Fühlt sich im ersten Moment schwieriger an, als es ist. Schon nach zwei oder drei Vorgängen hat man das Prozedere raus. Mit zunehmender Erfahrung lässt das Spiel Tränke zwar auch automatisch brauen, aber für mich sticht diese etwas realistischere Art der Trankherstellung positiv hervor. Am Rande ist noch ein Würfel-Minispiel im Spiel vorhanden, dass aber natürlich nicht die Tiefe eines Gwent aus The Witcher 3 erreicht. Dennoch ist es einen kleinen Versuch wert, es ist leicht zu verstehen und für drei oder vier Runden auch ganz lustig.
Die negativen Eigenheiten des Spiels sollen auf jeden Fall hier nochmal explizite Aufführung finden. Wie bereits erwähnt, ergibt sich aus der Größe des Spiels wie auch aus den Ansprüchen der Entwickler viele Probleme, die letztendlich in Bugs und Glitches enden. Auch nach einigen bisher erschienenen Patches. Das Problem, dass die deutsche Synchronisation oftmals viel zu leise abgemischt war, soll mittlerweile behoben sein. Dennoch fiel mir auf, dass einige Synchronsprecher mehreren Rollen ihre Stimme leihen. Bei Standard-NPCs am Rande ist das nicht so schlimm, aber teilweise betrifft dies auch prominentere Figuren, und da stört es dann schon. Mag aber auch sein, dass dies ein persönliches Problem von mir ist, da ich mich gerne mit Synchronsprechern auseinandersetze und daher vielleicht eher auf die Stimmen Acht gebe. Durcheinander durchlaufende Charaktere, ein Charakter, der in einer Gesprächsszene einfach weiter durch die Welt läuft oder auch mal ein Glitch in den Boden sind aber leider auch keine Einzelfälle. Dies lässt natürlich immer mal wieder die gelungene Immersion des Spiels zusammenfallen, persönlich kann ich da aber gut drüber hinwegsehen.
Fazit:
Kingdom Come: Deliverance ist ein schwerer Brocken eines Rollenspiels. Ganz sicher nicht für jeden etwas. Es braucht Zeit und ist nichts für “mal so ne Stunde zocken”. Wenn man sich aber dem Spiel hingibt, saugt es einen gerne mal in sich auf. Die Welt wirkt oft wunderbar immersiv – knallt einen aber leider genau so gerne mit einem dummen Bug oder Glitch raus. Obwohl die Story zum Ende stark ausdünnt und man das Gefühl bekommt, die Entwickler hatten zum Schluss viele Ideen, aber wenig Zeit, so bleibt der Weg durch die Geschichte dennoch interessant und spannend. Seine ehrgeizigen Ziele konnte das Projekt vielleicht nicht ganz erreichen und zudem dominierten die mögliche Gesinnung des Chefentwicklers kurze vor Release – durchaus zurecht – die Schlagzeilen. Dennoch war das Spiel für mich ein schönes Erlebnis, dass mir, trotz Bug- und Glitchanfälligkeit, sehr viel Spaß bereitet hat.
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